Am 3. März 2012 marschierten rund 300 Neonazis durch das Rumphorst-Viertel in Münster. Ermöglicht wurde Ihnen dieser Aufmarsch durch ein massives Polizeiaufgebot und den unbedingten Willen der Einsatzleitung, effektiven Protest unter allen Umständen zu verhindern. Dementsprechend wurde der Tag von diversen Übergriffen der Polizei geprägt. Im Anschluss versuchte das Keinen Meter-Bündnis die schwersten Fälle aufzuarbeiten. Dabei zeigte sich schnell, welche Schutzmechanismen greifen, wenn Vorwürfe gegen PolizistInnen erhoben werden.
Strafverfahren gegen PolizistInnen enden nur äußerst selten mit einer Aufklärung des Sachverhaltes und einer Verurteilung der TäterInnen. Das liegt mitnichten – wie es die Polizeigewerkschaften nimmermüde behaupten – daran, dass es unverhältnismäßig oft unberechtigte Anzeigen gegen PolizistInnen gibt. Die Gründe für die geringe Aufklärungsquote sind vielfältig. (vgl. Singelnstein, Anmesty, Süddeutsche ) Im Folgenden sollen anhand der Polizeiübergriffe am 3. März 2012 in Münster einige dieser Schutzmechanismen dargestellt werden.
„Und Du möchtest die Nächste sein?“ – der Polizeiübergriff an der Stettiner Straße
Am frühen Nachmittag wurde ein junger Gegendemonstrant bei seiner Festnahme so schwer verletzt, dass er intubiert und bewusstlos auf die Intensivstation gebracht werden musste. Nach Aussagen von ZeugInnen wurde er von mehreren BeamtInnen zu Boden gebracht und mehrfach geschlagen.
Kurz nach Bekanntwerden des Übergriffes stellte sich der Münsteraner Polizeipräsident Hubert Wimber in der Presse schützend vor die BeamtInnen. Er erklärte, der Demonstrant sei gewalttätig gewesen und hätte unter dem Einfluss von Drogen gestanden. Dem nicht genug ergänzte Wimber seine Aussagen wenige Tage später um die Behauptung, der Demonstrant sei als gewalttätig (polizeilich) bekannt. Aussagen, die mittlerweile fast vollständig widerlegt wurden und ganz offensichtlich dazu dienten, den Betroffenen schnellstmöglich zu diskreditieren. Hier sollte der Eindruck entstehen, dass es einen Grund für den Übergriff gab und der Betroffene eine Mitschuld trage.
Aufgrund der offensichtlichen Schwere des Übergriffes, der vielen ZeugInnen und des hohen medialen Interesses nahm die Staatsanwaltschaft Münster Ermittlungen wegen Körperverletzung im Amt gegen die BeamtenInnen der 17. Bereitschaftspolizeihundertschaft Münster auf. Entgegen der Aussagen der ZeugInnen sagten die an der Festnahme beteiligten PolizistInnen aus, nur ein Beamter habe den Demonstranten geschlagen. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren kurz darauf ein, weil sie eine Notwehrsituation gegeben sah.
Symptomatisch für Ermittlungen gegen PolizistInnen:
Den Aussagen von PolizistInnen wird mehr Glauben geschenkt, als denen unabhängiger ZeugInnen. Und das selbst dann, wenn die Aussagen auffällig gut zueinander passen und von Menschen getätigt werden, die ein hohes Maß an Eigeninteresse am Ausgang der Ermittlungen haben.
Die PolizistInnen, die die Situation selbst gewählt und ausgelöst haben, werden zu Opfern, die in Notwehr handeln mussten, der Betroffene somit zum Täter. Die Staatsanwaltschaft macht sich mit Ihrer tendenziösen Deutung der Sachlage und der Einstellung des Verfahrens ohne eine Beweisaufnahme vor Gericht zum Helfer der prügelnden PolizistInnen.
Derzeit wird versucht, über ein Klageerzwingungsverfahren eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu erreichen. Weitere Details, insbesondere zur Argumentation der Staatsanwaltschaft gibt es beim Keinen Meter-Bündnis.
„Ihr Zug endet hier“ – die Zugräumung in Sprakel
Für ca. 150 GegendemonstrantInnen endete bereits die Anreise nach Münster in einer Polizeischikane. Ihr Zug wurde kurz vor Münster am abgelegenen Bahnhof in Sprakel gestoppt und ihnen erklärt, eine Anreise wäre nicht mehr möglich. Als sie der Aufforderung zum Verlassen des Zuges nicht nachkamen, begann eine Hundertschaft der Bundespolizei, den Zug auf ruppige Art und Weise zu räumen. Dabei gab es mehrere Ingewahrsamnahmen und Verletzte. Nach einer Durchsuchung aller AntifaschistInnen wurden diese mit Shuttlebussen nach Münster gebracht.
Auch in diesem Fall rechtfertigte die Polizei ihren Einsatz eilig mit Vorwürfen gegen die GegendemonstrantInnen. Diese wären gewalttätig und bewaffnet gewesen, mit dem Stoppen des Zuges hätte die Polizei quasi in letzter Sekunde eine geplante gewalttätige Auseinandersetzung am Bahnhof in Münster verhindert. Zur Bekräftigung dieser pauschalen Bewertung aller Zuginsassen wurden einzelne beschlagnahmte Feuerwerkskörper sowie auflagenkonforme Fahnenstangen präsentiert.
Trotz des von der Polizei propagierten erheblichen Gewaltpotenzials lief die Zugräumung seitens der GegendemonstrantInnen friedlich ab. Wohl auch um ihren Einsatz nachträglich zu rechtfertigen und das gezeichnete Bild des gewaltbereiten Mobs aufrecht zu erhalten, griffen Polizei und Staatsanwaltschaft zu einem bewährten Mittel:
Gegen mehrere der in Gewahrsam genommenen Personen wurden Verfahren wegen „Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte“ eingeleitet. Dieser Straftatbestand ist sowohl weiträumig angelegt als auch sehr subjektiv interpretierbar. In Verbindung mit der Definitionsmacht, die PolizistInnen im Einsatz besitzen, führt dies zu einer hohen Anzahl von „erfolgreichen Anzeigen“ und Verurteilungen. Werden Vorwürfe gegen PolizistInnen erhoben, wird gerne mit einer Gegenanzeige wegen Widerstandes geantwortet. Auch hier wird damit eine Täter-Opfer-Umkehr betrieben, um Gewalt durch die BeamtInnen juristisch zu legitimieren.
Doch all diese Bemühungen halfen nicht: In den bislang verhandelten 2 Verfahren konnten die Vorwürfe gegen die GegendemonstrantInnen nicht aufrecht erhalten werden. Stattdessen musste die Staatsanwaltschaft im Anschluss Ermittlungen wegen Körperverletzung im Amt aufnehmen. Dass diese jedoch mit dem gleichen Eifer und der gleichen Akribie vorangetrieben werden, wie die von der Staatsanwaltschaft selbst angestrebten verfahren wegen Widerstandes ist mehr als unwahrscheinlich.
Nur die Spitze des Eisbergs
Eine ganze Reihe weiterer Übergriffe und Schikanen durch die Polizei am 3. März wird nicht aufgeklärt werden und keinerlei Konsequenzen für die TäterInnen haben. Die oben geschilderten Fälle zeigen nur einen kleinen Ausschnitt der Schwierigkeiten bei der Aufklärung von Polizeigewalt. Doch sie illustrieren auf drastische Art und Weise, dass es dringend Änderungen im bestehenden System bedarf. Zahlreiche Organisationen und Gruppen fordern seit langem die Errichtung unabhängiger Ermittlungsbehörden zur Aufklärung von Polizeigewalt, eine Kennzeichnungspflicht für PolizistInnen, die Abschaffung des Widerstandsparagraphens und weitere präventive Maßnahmen. Das ist kein Patentrezept zur Lösung der Problematik von Polizeigewalt – diese ist strukturell bedingt und muss als gesamtgesellschaftliches Problem angegangen werden. Doch wären solche Reformen ein wichtiger erster Schritt, um wenigstens eine Eindämmung der alltäglichen Polizeigewalt zu erreichen.